Heute knapp neunzehn Monate später geben einige seiner Aktionen Anlass zu Zweifeln. Bei der Lizenzvergabe für landesweite TV-Stationen wurde die verfassungsmäßig vorgeschriebene Zuständigkeit des Rundfunkrats übergangen. Die Regierung nutzte einen Disput mit der Nea Dimokratia bezüglich der Besetzung des Rats, dessen Mitglieder von den Vorgängerregierungen eine ständige und verfassungswidrige Verlängerung ihrer Amtszeit erhalten hatten. Es gab keine Einigung über die Wahl neuer Mitglieder. Kurzerhand rief die Regierung die verbliebenen Mitglieder per Eilverordnung ab und übertrug bis zur Neubesetzung des Rats dessen Kompetenzen an Staatsminister Nikos Pappas. So konnte Pappas schließlich die Auktion der von ihm auf vier begrenzten Fernsehlizenzen organisieren. Eine Verfassungsbeschwerde der betroffenen TV-Sender konnte bis heute im zuständigen obersten Gericht, dem Staatsrat diskutiert werden, weil dessen Vorsitzender, Nikolaos Sakellariou, die Sitzung am Freitag der vorvergangenen Woche schlicht vor deren Beginn abbrach. Zwei von Sakellarious stellvertretenden obersten Richtern, Christos Rammos und Aikaterini Sakellaropoulou, legten daraufhin aus Protest ihr Amt nieder.

Als dann wenige Tage später, am Donnerstag der vergangenen Woche Tsipras die Vorsitzenden Richter der obersten Gerichte des Landes zur Audienz einlud, brach eine weitere Affäre aus. Tsipras diskutierte mit der obersten Richterin des Aeropags, Vasiliki Thanou, mit dem Vorsitzenden des Staatsrats, Nikolaos Sakellariou und mit der Vorsitzenden des Kontrollrats, Androniki Theokatou. Als erstes Ergebnis wurde bekannt, dass die obersten Richter eine Erhöhung ihrer Diäten erhalten werden. Die gewerkschaftlichen Verbände der Justiz liefen Sturm. Denn ihnen obliegt laut Verfassung die Diskussion über Honorarfragen. Zudem haben die Justizgewerkschaften seit Monaten um eine Audienz gebeten.

Am Dienstag wurde indes ein weiteres Detail der Audienz bei Tsipras bekannt. Demnach trug Vasiliki Thanou, die zwischen August und September 2015 wegen der von Tsipras initiierten Neuwahlen als Interimspremierministerin diente, ihrem Amtsvorgänger und Nachfolger Tsipras ein weiteres Anliegen vor. Thanou wurde Premierministerin, weil Tsipras sie kurz vor dem Referendum über den Sparkurs des Juli 2015 in ihr Amt berief und die übrigen Positionen der obersten Richter unbesetzt ließ.

In der Verfassung ist vorgeschrieben, dass Richter mit der Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahrs in Pension gehen müssen. Für oberste Richter gilt als Stichtag der siebenundsechzigste Geburtstag. Aus genau diesem Grund mussten die Vorgänger der jetzt amtierenden obersten Richter zum 30. Juni 2015 abtreten und der Weg für die Berufung von Thanou war damit frei.

Thanou erreicht das kritische Alter im Juli 2017, ihre übrigen Kollegen haben erheblich mehr Zeit. Nun argumentierte sie gegenüber Tsipras, dass es ein Anliegen vieler oberster Richter sei, die Pflichtpensionierung auf das siebzigste Lebensjahr zu verlegen. Sie meint, dass die Begrenzung durch ein einfaches Gesetz aufgehoben werden kann. Eine Verfassungsänderung ist in der jetzigen Parlamentsperiode nicht möglich. Die griechische Verfassung wurde durch die Verfassungsautoren mit einem komplizierten Verfahren hinsichtlich willkürlicher Änderungen geschützt. Änderungen sind nur in periodisch vorbestimmten Parlamentsperioden möglich.

Thanou sieht das anders. Für sie ist die Begrenzung auf siebenundsechzig Jahre nur ein Schutz der obersten Richter vor frühzeitiger Abberufung durch die Regierung. Sie meint, daher, dass eine Verlängerung im Sinn der Verfassung und nicht gegen diese gerichtet ist.

Verfassungswidriger Versuch einer Machtzementierung?

Die Richterverbände im Land sehen dies anders. Sie beschuldigen Thanou, die Tsipras offensichtlich nahe steht, des verfassungswidrigen Versuches, ihre Macht zu zementieren.  

In ihrer gemeinsamen Erklärung betonen sie zwei Punkte:

1.     Die eindeutige Verfassungsbestimmung von Artikel 88 Paragraph 5, wonach „die Richter bis zum Dienstgrad des Berufungsrichters und der diesem entsprechenden Grade, pflichtgemäß mit der Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres zurücktreten und alle die höhere Dienstgrade als diese oder entsprechende zu diesen haben pflichtgemäß aus dem Amt ausscheiden, sobald sie das siebenundsechzigste Lebensjahr erreichen“. Diese verfassungsmäßige Bestimmung, deren Sinn bis heute niemals angezweifelt wurde, lässt absolut keinen Spielraum einer Fehlinterpretation. Somit ist jede Änderung der Altersgrenze für Richter mit einem einfachen Gesetz eine unerlaubte Verletzung der verfassungsmäßigen Bestimmungen. Jeder Vorschlag zu diesem Thema kann nur im Rahmen einer Verfassungsänderung erfolgen, zu der wir unter anderen Fragen Stellung auch zu dieser spezifischen Frage nehmen werden.

2.     Dass der Premierminister, während er wie er es darf, mit den Spitzen der Justiz spricht, sich seit fünf Monaten weigert, die Justizverbände zu empfangen, obwohl diesbezügliche Anträge gestellt werden, wertet die gewählten Vertreter aller Bereiche der Justiz ab.

Die Richterverbände finden die jüngsten Vorstöße im Zusammenhang mit den obersten Richtern „furchteinflößend“.

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